Römische Mythologie
Der Raub der Sabinerinnen |
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Die Sabinerinnen stürzen sich
zwischen die Fronten
(Jacques-Louis David, 1799)
Stetig wuchs die junge Stadt Rom unter den Händen von Romulus. Mächtige
Mauern hatte er zu ihrem Schutze gebaut. Um sie nun auch mit Menschen zu
füllen, errichtete er eine Freistatt, die jedermann Asyl gewährte. Schon
bald kamen aus den Nachbarstädten Flüchtlinge, die Häuser und Straßen
belebten. Damit die noch junge Stadt unter diesem Andrang von Menschen
nicht in Gesetzlosigkeit verfiel, gab Romulus ihr eine Verfassung. Aus dem
Volke wählte er einhundert ehrwürdige Männer, die ihm als Ratsherren bei
der Regierung der Stadt zur Seite stehen sollten. Wenn er sich dem Volk
als Richter zeigte, so geleiteten ihn zwölf Gerichtsdiener, die
Rutenbündel mit eingeschnürten Beilen als Zeichen der Macht trugen.
Liktoren wurden sie genannt. Was dem jungen Staat jedoch noch
fehlte, das waren Frauen. Und wie sollte eine Stadt überleben, wenn keine
Nachkommen da waren? So schickte Romulus Gesandte in die Nachbarstädte mit
der Bitte um Bündnis und Eheschließungen zwischen ihnen. Doch wohin auch
die Gesandten kamen, sie wurden unverrichteter Dinge wieder fortgeschickt.
Teilweise wurden sie sogar verhöhnt, in dem sie den Boten rieten, doch
eine Freistatt für Frauen einzurichten. Denn die Städte ringsumher
blickten nicht ohne Furcht auf das neue Rom. So verschmäht
schmiedete der König einen Plan, um doch noch an sein Ziel zu kommen. Er
ließ ein Fest zu Ehren des Gottes Neptun ausrichten und lud die
Nachbarvölker dazu ein. Begierig, die neue Stadt endlich zu sehen,
strömten die Menschen herbei. Besonders die Sabiner kamen in großer Zahl
mit ihren Familien. Gastfreundlich wurden sie von den Römern aufgenommen
und herumgeführt. Dann begannen die Spiele und alles drängte sich um den
Kampfplatz. Auf ein Zeichen von Romulus bemächtigten sich die jungen Römer
der Jungfrauen, die sie sich zuvor unter den Zuschauern ausgesucht hatten,
und schleppten sie fort. Dies geschah alles so schnell und überraschend,
dass niemand Widerstand leisten konnte. Respektvoll wurden die
Geraubten in den Familien aufgenommen und behandelt. Der König versicherte
ihnen, dass sie ordnungsgemäß verheiratet werden und in den Genuss aller
Güter und Rechte kommen sollten. So besänftigt wich bald die Empörung der
Jungfrauen und sie fügten sich in ihr Schicksal. Die Familien der
Geraubten waren jedoch wütend und schon bald rüsteten die Sabiner gegen
die Stadt Rom. Durch den Verrat der jungen Römerin Tarpeia gelang es dem
König der Sabiner Titus Tatius, die Burg auf dem Kapitolischen Berg
einzunehmen. Im Tal, das sich vor dem Kapitolischen Berg erstreckte,
standen sich schließlich die beiden Heere in erbittertem Kampf gegenüber.
Plötzlich jedoch hielten die Kämpfenden inne, denn die geraubten
Sabinerinnen hatten sich mutig zwischen sie gestürzt, um dem Morden ein
Ende zu bringen. Flehend redeten sie auf beide Parteien ein. "Wenn
die gegenseitige Verwandtschaft, wenn der Ehebund euch zuwider ist, so
richtet euer Wüten gegen uns! Wir ja sind die Ursache für den Krieg, wir
der Wunden und des Mordes Anlass für unsere Männer und Väter! Lieber
wollen wir zugrunde gehen als ohne die einen von euch als Witwen oder
Waisen weiterleben!" (Livius 1,13,3) Ihr Flehen fand Gehör bei
den Römern und Sabinern. Beide Seiten versöhnten sich und schlossen ein
Friedensbündnis. Und aus dem Bündnis wurde sogar mehr, denn man verband
sich zu einem Volk, dass von den beiden Königen Romulus und Titus Tatius
beherrscht wurde. Der Sabinerkönig fand jedoch schon bald den Tod. Bei
einer Opferfeier in Lavinium wurde er umgebracht. So regierte
Romulus fast vierzig Jahre in Weisheit und Güte. Eines Tages befahl der
König eine Musterung des Heeres auf dem Marsfeld. Als er gerade zu seiner
Rede ansetzte, überzog ein Unwetter das Feld. Eine Wolke umhüllte unter
lautem Donnern und Getöse den König. Ein schrecklicher Sturzregen
prasselte auf sie nieder. Alle flohen, um Schutz zu suchen. Nachdem der
Sturm vorübergezogen war, kehrte das Volk zurück und entdeckte, dass ihr
König fort war. Niemand zweifelte mehr daran, dass ihr König vom Gott Mars
zu den Unsterblichen entrückt worden war.Dem angesehenen Bürger Iulius
Proculus erschien Romulus im Traum und sprach zu ihm, dass Rom zur
Hauptstadt des Erdkreises werden würde und er als Schutzgott Quirinus über
seinem Volk wachen werde. Nach diesen Worten des Iulius Proculus fiel das
Volk auf die Knie und gelobte, dem neuen Gott Quirinius einen herrlichen
Tempel zu bauen.
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