Römische Mythologie
Der Kampf der Horatier und Curatier |
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Der Schwur der Horatier
(Jacques-Louis David, 1784)
Nach Romulus herrschte Numa Pompilius mit Weisheit. Seine Absicht war es,
das wilde römische Volk zu einer milden Gesinnung zu führen, um so den
Frieden zu sichern. Er sorgte für die Einführung von Recht und Gesetz.
Außerdem unterwies er die Bürger in Religion und guten Sitten. Nach ihm
folgte Tullus Hostilius, der von ganz anderer Art war. Aufbrausend vom
Charakter liebte er den Krieg. Er wollte den Machtbereich Roms mit Gewalt
erweitern. Bei seinen Streifzügen überschritt er auch die Grenze des
albanischen Gebietes, das von der Mutterstadt Roms Alba Longa beherrscht
wurde. Dies reizte die Albaner so sehr, dass sie schon bald im Krieg mit den
Römern standen. Als nun beide Heere aufeinander trafen, scheute
jeder den ersten Streich gegen das Brudervolk zu führen. Schließlich trat
Mettius Fufetius, der Feldherr der Albaner, vor und machte einen Vorschlag,
wie die Auseinandersetzung beizulegen sei, ohne viel Blut zu vergießen. Die
Besten ihrer Heere sollten gegeneinander antreten und so die Schlacht
stellvertretend im Zweikampf entscheiden. Es ergab sich, dass auf beiden
Seiten Drillingsbrüder dienten, die an Alter und Kräften etwa gleich waren.
Auf der römischen Seite waren es die Horatier, die sich so nach ihrem Vater
Horatius nannten, und auf der albanischen Seite die Curatier, nach ihrem
Vater Curatius. Feierlich wurde dies in einem Vertrag beschlossen, der
besagte "Wessen Volkes Bürger in diesem Gefecht die Oberhand behielten, das
solle das andere Volk in ehrenhaftem Frieden beherrschen" (Livius 1, 24,3).
Mit der Opferung eines Schweines wurde der Vertrag besiegelt.
Gespannt verfolgten beide Heere, wie die Brüderpaare das Schlachtfeld
betraten. Mutig stürzten sie aufeinander zu und schon bald fiel der erste
Horatier. Nicht lange danach folgte auch der Zweite, so dass nur noch einer
von ihnen gegen die Curatier kämpfte. Doch der Kampf hatte auch Tribut von
den Albanern gefordert, die schwer verwundet waren. Der letzte Horatier
erkannte, dass er nicht gegen alle drei gleichzeitig kämpfen konnte, und
griff zu einer List. Er täuschte vor, fliehen zu wollen. Er hoffte, dass er
von ihnen verfolgt würde. Dies geschah auch so. Da sie unterschiedlich
schwer verwundet waren, liefen sie schon bald auch in unterschiedlichen
Abständen ihm hinterher. Plötzlich hielt er inne, wandte sich um und
erschlug den Curatier, der ihm am nächsten war. Auf die Art besiegte er auch
den zweiten Gegner. Der Dritte kam schwerfällig hinzu, weil er am schwersten
verwundet war. Dieser konnte leicht von Publius Horatius erschlagen werden.
Jubelnd schrie das römische Volk auf und grüßte freudig den Sieger. Die
Albaner hielten sich an den Vertrag und unterwarfen sich der römischen
Herrschaft. Die Toten wurden mit Würde bestattet. Die Rüstungen und Waffen
der gefallenen Curatier erhielt der siegreiche Horatier als Beutestücke und
marschierte mit ihnen in Rom ein. An den Toren der Stadt trat ihm
seine Schwester entgegen, die sich mit einem der Curatier verlobt hatte. Sie
erkannte das Gewand wieder, das sie selbst für ihren Verlobten gewebt hatte,
und verfiel in Wehklagen. In Trauer löste sie ihr Haar und schrie seinen
Namen hinaus. Dies erzürnte ihren Bruder jedoch so sehr, dass er zu seinem
Schwert griff und ihr Herz durchbohrte. "Fahre hin samt deiner unpassenden
Liebe zu deinem Verlobten, weil du deiner toten Brüder und des lebenden
vergessen, vergessen des Vaterlands! So soll jede Römerin dahinfahren, die
um einen Feind trauern wird!"(1,26,4) So sprach er bei seiner Tat.
Die Jubelschreie erstarben im Angesicht dieses schrecklichen Ereignisses.
Dieses Verbrechen durfte nicht ungesühnt bleiben und so wurde er vor den
König geführt. Dieser übertrug die Entscheidung an einen Zweimännerrat
(duumviri), das Publius Horatius streng nach den Gesetzen zum Tode
verurteilte. Da trat der Vater vor und machte von seinem Einspruchsrecht
Gebrauch. Er wandte sich an das römische Volk und bat um Gnade. Hätte seine
Tochter nicht zu Recht den Tod verdient, so wäre er nach dem Recht seiner
väterlichen Gewalt gegen seinen Sohn vorgegangen. Noch vor wenigen Minuten
hätte sein Sohn für Rom gekämpft und gewonnen. Drei Kinder seien ihm schon
durch den Tod entrissen worden. Das letzte Kind möge man ihm doch lassen.
Gerührt von der Rede des gramgebeugten Vaters ließ sich das Volk
erweichen. Um jedoch dem Recht Genüge zu leisten, musste Publius Horatius
sinnbildlich die Strafe vollziehen lassen. Mit verhülltem Haupt schritt er
unter einem Querbalken hindurch, der einen Galgen darstellen sollte. So war
das Recht auch gegenüber einem römischen Helden gewahrt geblieben. Das Joch,
unter dem der Horatier hindurch geschritten war, lebte als
"Schwesternbalken" in der Erinnerung der Römer fort.
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